P.r2b
von Camille Tricaud
Und dann landet man zufällig auf der Facebookseite von P.r2b. Es ist das
Akronym von Pauline (Rambeau de Baralon). Ich habe sie das erste Mal vor
zwei Jahren auf der Bühne einer kleinen Konzerthalle in Paris gesehen. Manon
hatte mich mitgenommen. Pauline und Manon kannten sich von der Filmschule
La Fémis. Pauline performte damals alleine auf der Bühne, ohne Band, nur mit
Syntheziser. Sie machte eine Art von Chansons, romantisch und digital.
Pauline hatte damals schon begonnen sich vom "Regisseurin-sein" zu
distanzieren, um sich endlich ganz der Sache zu widmen, die ihr wichtig war,
nämlich der Musik.
Nun also ein Wiedersehen "online": Pauline sieht auf Fotos immer noch so aus
wie früher auf der Bühne - mit Strubelkopf und dicken Augenbrauen. Auf dem
Profilbild sieht man nicht, wie klein sie in der Realität ist. Auf ihrer Seite gibt es
eine Reihe von Musikvideos. Ein Video pro Corona-Woche, alles Song-Cover.
Die Videos hat sie wie die Songs ganz alleine gemacht. Sie bleibt eben doch
Filmemacherin in Quarantäne.
Das erste Musikvideo heißt Barbie Girl und spielt in der Welt von Sims 4. Man
erkennt Pauline, also genauer gesagt, ihren Avatar (mit metallischer Rüstung
und blauer Sonnenbrille) und Barbie (also irgendein blondes, sexy Girl).
Pauline und Barbie machen einen Road-Trip wie Thelma und Louise. Sie haben
ganz viel Spaß auf der Reise. Sie fahren natürlich Auto. Sie spielen Bowling.
Sie prügeln sich mit irgendwelchen Typen, zerstören eine Sandburg, machen
Fitness und grillen in der Wüste.
Pauline singt : "Je suis une Barbie Girl, dans un monde patriarcal, avouez la
chose est bien banale. La vie domestique a quelque chose de plastique...".
Flashback. Man ist 12, heute ist der Geburtstag einer Schulfreundin und alle
tanzen. Barbie Girl ist damals noch ein Hit, man findet die Lyrics richtig cool
und denkt wenig über den Sinn nach. P.r2b schreibt als Vorwort zu ihrem
Video: Was wäre, wenn Barbie es satt hätte und einfach abhauen würde ? Die
feministische Variante. Zum Glück ist Zeit vergangen, seit Aqua, das Lied
herausgebracht hat.
Barbie Girl's Cover also. In Sims 4 kann man seine Protagonisten in allen
möglichen Situation inszenieren und in allen möglichen Gegenden herum-
treiben lassen, aber man kann auch ziemlich abgefahrene Bilder "drehen" -
Zum Beispiel eine 360°-um-die-Figur-herum-Kameradrehung. Diese fluiden
Kamerabwegungen sehen in den meisten nicht-animierten Filmen eher
angestrengt aus. Vielleicht verbindet man das oft mit dem verzweifelten
Versuch der Filmemacher*innen etwas "krasses" zu machen. Bei P.r2b's Barbie
Girl ist es etwas anderes. In der Sims-4-Welt - on the Road mit Pauline und
Barbie - dreht sich die Kamera die ganze Zeit, wie als würden überall Kräne
eingesetzt. Sie fliegt wie eine ziellose Drohne (unendlich schnell und
vollkommen linear) und es macht unglaublig viel Spaß. Ich liebe diese Idee,
dass eine Kamerabewegung auch Humor haben kann.
Das nächste Musikvideo ist ein Cover von Cosmic Dancer aus dem Film Billy Elliot.
In dem Video, gibt es einen Auschnitt von Dancer in the Dark und im Off
zitiert Pauline die Frage von Selmas Freund, warum die Menschen in Musicals
plötzlich anfangen zu singen und zu tanzen, und meistens ohne Grund. Man
findet diese Frage ein bisschen lustig. Vielleicht teilt sich Welt auf zwischen den
Menschen, die sich so etwas fragen und denen, für die die Antwort so klar ist,
dass sie sich die Frage gar nicht stellen.
Ich scrolle die Seite herunter. Es folgt ein Musikvideo-Covervon Les Rita Mitsouko,
französisches New Wave. In dem Intro erzählt P.r2b eine Parabel aus
ihrer Quarantänezeit : 130 € Strafe, weil ein französischer Polizist einem nicht
glauben will, dass man wirklich Eier einkaufen wollte, weil man keine Eier in
der Tasche hat, weil sie im Supermarkt ausverkauft waren. "C'est comme ca",
sagt Paulines Mutter am Telefon dazu, "So ist es halt". So heißt auch der Song,
"C'est comme ça".
Das letzte Video ist einen Cover von Claude Nougaro, eine betrunkene
Liebeserklärung, das unter dem Balkon von einer In-Quarantäne-ein-
gesperrten-Liebhaberin gesungen wird. Wie Stella in A Streetcar named Desire
erklärt uns P.r2b, damit man die Szene einordnen kann. Sie spielt den
belästigenden Liebhaber. Das Video hat die Frau vom Balkon mit dem Handy
gedreht. Man vergisst den Text und ertappt sich, wie man über die Bilder
nachdenkt: Die Baume in dieser Straße, die Bäume in Marseille (was sind das
noch mal für Bäume?), die orangenen Straßenlichter, ein Laden (Matratzen-
verkäufer) und die Straßenbahngleisen, wo gar keine "Streetcars" fahren.
P.r2b "adressiert" ihre Songs und Videos. Es gibt immer ein "Du", das am
Anfang von jedem Video angesprochen wird. Es ist ein guter alter Lyriker-
Trick. Das funktioniert auch nach Jahrhunderten immer noch sehr gut. Auch
digital. Nach ein paar Videos von Pauline bekommt man dann eine grobe Idee
von dem "Du". "Du" wohnt in Paris, mag keine Musicals, schaut trotzdem
welche, ist vielleicht eine Frau, kriegt eine Videobotschaft pro Woche. Nächste
Woche kommt das nächste Cover. Man wartet darauf. Man wünschte man wäre
"Du".